Thekla Liebmann
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halb da
Podcast mit modern tales und short stories an der Grenze zwischen Sci-Fi , Fantasy und der nicht weniger skurrilen Realität. Geschrieben und gelesen von mir.



10/2023

Hätte mal jemand auf Kassandra gehört

Sie umrundete die dunkle, feuchte Stelle auf dem Boden mehrere Male und betrachtete dabei das sich auf und ab bewegende Organ aufmerksam. Das Rohe und Fleischige daran faszinierte sie auf angenehm abstoßende Art und sie überkam ein Ekel, der sich sauer in ihrem Hals verteilte, ihr Herz schneller schlagen ließ und ihren Magen zusammenzog. Sie beschloss, dass sie von diesem Moment an genau diesem Gefühl hinterherjagen würde.


Er hat ihr ewige Liebe versprochen und doch hat er sich in eine andere verliebt. Es ist einfach so passiert. Sie ist dieser Liebe ausgeliefert. Einer Liebe, mit der sie nichts zu tun hat. Die sie nichts angeht. Er verspricht ihr, sie immer noch zu lieben, jetzt beide zu lieben. Er hat ihr schon einmal was versprochen. Ihr Herz ist gebrochen. Sie kann ihn nicht ertragen, wenn er ihr schwört, dass sich nichts ändern wird. Alles ist anders. Er will trotz allem mit ihr zusammen bleiben, er liebt sie doch. Nichts hat sich geändert. 


07/2023

Allowing the Too-Good Mother to Die

Es war einmal ein kleines, unschuldiges Kind. Das rannte in den Wald, um sich zu verstecken. Es kam vom Weg ab. Es kam vom Weg ab, weil es sich so sehr am wilden Thymian erfreute und an den gelben Blüten des Ginsters. Die rochen am besten, wo der Wald am tiefsten war. Es kroch unter Büsche, überquerte, springend von Stein zu Stein, einen Bach und trank einen Schluck.


07/2023
Eine Frau wacht auf. Sie fühlt sich nicht gut, ihr Kopf schmerzt. Das graue Shirt klebt ihr am Oberkörper und sie riecht unangenehm säuerlich, nach Schlaf und Schweiß. Sie hat schlecht geschlafen und ist in ihren Träumen auf der Stelle vor jemandem weg gerannt. Ihre Armbeugen sind wundgekratzt und ihre Augen geschwollen. Sie stellt die Füße auf das graue Klickparkett und zieht sie erschrocken zurück, weil sie in einer Wasserlache landen.


05/23

Wir sind nicht hier um Mutter zu sein
(She’s so heavy)

Es ist früher Nachmittag, als das Auto auf den Parkplatz einbiegt. Laute Musik schallt durch die herunter gekurbelten Fenster, dann geht der Motor aus und die Türen öffnen sich. Mit einem lauten Knall werden sie wieder zugeschlagen. Es ist schwül. Über dem gelben Schotter flirrt die Luft und außer den beiden, die mit knirschenden Schritten den Parkplatz überqueren, ist es menschenleer. Die Frau ist geschwächt. Nicht krank, aber schwach, und sie blutet. Nicht das dünne, wässrige Blut einer Schnittwunde, sondern tiefrot, zäh und aus einer unsichtbaren Wunde.





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